Manfred
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Maya
Ein Becher voll Maya
Vor langer Zeit lebte in Indien ein Held. Eines Tages
begegnete er Vishnu. Sie wanderten zusammen durch
das Land, und Vishnu fragte ihn, ob er irgendeinen
Wunsch habe, den er ihm erfüllen könne.
»Lehre mich, was Maya bedeutet«, bat der Mann.
»O nein«, sagte Vishnu, »wünsche dir irgend etwas
anderes, nur nicht das.«
»Aber ich möchte von dir lernen, was Maya bedeutet«,
beharrte der Mann.
»Du kannst dir alles wünschen«, sagte Vishnu, »eine
schöne, hingebungsvolle Frau, große Reichtümer,
Paläste, Gesundheit, ein langes Leben.«
»Ich möchte lernen, was Maya bedeutet«, antwortete
der Mann.
»Nun gut«, sagte Vishnu, »wenn das dein Wunsch ist,
werde ich ihn erfüllen. Aber hole mir bitte zuerst einen Becher voll Wasser von dem
Bauernhaus da drüben, und dann werde ich dich lehren, was Maya bedeutet.«
Der Mann ging zu dem Bauernhaus und klopfte höflich an die Tür. Die Tür wurde von
der schönsten Frau geöffnet, die er je gesehen hatte. Sie war nicht nur wunderschön,
sie hatte auch tiefe, seelenvolle Augen. Er sah in diese Augen und verliebte sich. In
diesem Augenblick wusste er, dass sie sich von vielen früheren Leben her kannten
und dass sie füreinander bestimmt waren. Sie wusste es ebenfalls. Sie bat ihn ins
Haus und stellte ihn ihrer Familie vor. Ihre Eltern hießen ihn willkommen, als sei er ihr
eigener, geliebter Sohn. Als er mit ihnen beisammensaß, fühlte er so tiefen Frieden
in sich, dass er wusste, hier war er zu Hause. Er hielt um die Hand des Mädchens
an, und die Eltern gaben mit Freuden ihren Segen. Sie schenkten dem Paar ein
Stück Land und ein kleines Bauernhaus.
Es dauerte nicht lange, da hatte das Paar Kinder. Erst einen kleinen Jungen, dann
ein kleines Mädchen. Ihre Liebe zu den Kindern vertiefte ihre Liebe zueinander. Die
Felder brachten reiche Ernte. Sie lebten mit den Jahreszeiten und waren mit ihrem
Leben zufrieden und glücklich.
Dann, eines Tages, hörte man schreckliches Donnergrollen aus den Bergen. Der
Himmel verdunkelte sich, und die Erde bebte, und eine gewaltige Flut ergoss sich in
die Ebene. Der Mann ergriff seine kleine Tochter mit der einen Hand, seine Frau und
den Jungen mit der anderen. Sie rannten davon. Die Wassermassen zerstörten erst
ihre Felder, dann das Haus. Sie liefen, so schnell sie konnten, aber das Wasser um
sie herum begann zu steigen, und eine plötzliche Flutwelle trennte den Mann von
seiner Frau. Er schrie auf und versuchte, nach ihr zu greifen, als sie weggerissen
wurde. Dabei verlor er das Baby, das er getragen hatte. Er schrie wieder auf, und
das Leid zerriss sein Herz. Er klagte und weinte, und um ihn herum tobte der Sturm,
der sein Haus, seine Liebe und sein Leben zerstört hatte. Er blickte nach unten und
sah, wie seine Tränen in das schlammige, tosende Wasser fielen, in dem er stand.
Als die Tränen die Wasseroberfläche berührten, beruhigte sich das Wasser und
wurde klar. Er sah auf und erkannte, dass er in einen Becher geweint hatte, den er in
der Hand hielt. Er blickte in Vishnus Augen.
Vishnu lächelte und sagte: »Das ist Maya.«
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