Manfred
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Von dem guten Morgen
Meister Eckehart sprach zu einem armen Menschen: "Gott gebe dir einen guten Morgen, Bruder!" - "Herr, den behaltet für euch selber: ich habe noch nie einen bösen gehabt." Er sagte: "Warum denn, Bruder?" - "Weil ich alles, was mir Gott je zu leiden aufgab, fröhlich um seinetwillen litt und mich seiner unwürdig dünkte, und drum ward ich nie traurig noch betrübt." Er sprach: "Wo fandest du Gott zu allererst?" - "Als ich von allen Kreaturen abließ, da fand ich Gott." Er sprach: "Wo hast du denn Gott gelassen, Bruder?" - "In allen lauteren, reinen Herzen." Er sprach: "Was für ein Mann bist du, Bruder?" - "Ich bin ein König." Er sprach: "Worüber?" - "Über mein Fleisch: denn alles, was mein Geist je von Gott begehrte, das zu wirken und zu erleiden war mein Fleisch noch behender und schneller als mein Geist es aufzunehmen." Er sprach: "Ein König muß ein Königreich haben. Wo ist denn dein Reich, Bruder?" - "In meiner Seele." Er sprach: "Wieso, Bruder?" - "Wenn ich die Pforten meiner fünf Sinne verschlossen habe und ich Gottes mit ganzem Ernst begehre, so finde ich Gott in meiner Seele ebenso strahlend und froh, wie er im ewigen Leben ist." Er sprach: "Du magst wohl heilig sein. Wer hat dich heilig gemacht, Bruder?" - "Das tat mein Stillesitzen und meine hohen Gedanken und meine Vereinigung mit Gott, - das hat mich in den Himmel emporgezogen; denn ich konnte nie bei irgend etwas Ruhe finden, das weniger war als Gott. Nun habe ich ihn gefunden und habe Ruhe und Freude in ihm ewiglich, und das geht in der Zeitlichkeit über alle Königreiche. Kein äußeres Werk ist so vollkommen, daß es die Innerlichkeit nicht hindere."
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