Manfred
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Mit Gott in der Hölle
Ein hoher Lesemeister erzählte in einer Predigt in einer hohen Versammlung diese Geschichte: Es war einmal ein Mann, von dem liest man in den Schriften der Heiligen, der begehrte wohl acht Jahre, Gott möge ihm einen Menschen zeigen, der ihm den Weg zur Wahrheit weisen könnte. Und als er in einem starken Begehren war, da kam eine Stimme von Gott und sprach zu ihm: "Geh vor die Kirche, da findest du einen Menschen, der dir den Weg zur Wahrheit weisen soll." Und er ging und fand einen armen Mann, dem waren seine Füsse aufgerissen und voll Kot und alle seine Kleider waren kaum drei Pfennig wert. Er grüsste ihn und sprach: "Gott gebe dir einen guten Morgen" und jener erwiderte: "Ich hatte nie einen bösen Morgen!" Er sprach: "Gott gebe dir Glück! wie antwortest du mir so ?" Und er erwiderte: "Ich hatte nie Unglück." Er sprach wieder: "Bei deiner Seligkeit! wie antwortest du mir so?" Er erwiderte: "Ich war nie unselig." Da sprach er: "Gebe dir Gott Heil! Kläre mich auf, denn ich kann es nicht verstehn." Er erwiderte: "Das will ich tun. Du sprachst zu mir, Gott möge mir einen guten Morgen geben, da sagte ich: ich hatte nie einen bösen Morgen. Hungert mich, so lobe ich Gott; bin ich elend und in Schande, so lobe ich Gott: und daher hatte ich nie einen bösen Morgen. Als du sprachst, Gott möge mir Glück geben, sagte ich, ich hatte nie Unglück. Denn was mir Gott gab oder über mich verhängte, es sei Freude oder Leid, sauer oder süss, das nahm ich alles von Gott für das Beste: deshalb hatte ich nie Unglück. Du sprachst, bei meiner Seligkeit, da sagte ich: ich war nie unselig, denn ich habe meinen Willen so gänzlich in Gottes Willen gegeben: was Gott will, das will auch ich, darum war ich nie unselig, denn ich wollte allein Gottes Willen." "Ach, lieber Mensch, wenn dich nun Gott in die Hölle werfen wollte, was wolltest du dazu sagen?" Da sprach er: "Mich in die Hölle werfen? Das wollt' ich sehen! Und auch dann, würfe er mich in die Hölle, so habe ich zwei Arme, mit denen umfasste ich ihn. Der eine ist wahre Demut, den legte ich um ihn und umfasste ihn mit dem Arm der Liebe." Und dann sprach er: "Ich will lieber in der Hölle sein und Gott haben, als im Himmelreich und Gott nicht haben."
Von Meister Eclkhart
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