Der Mithras-Kult
Schon vor über dreitausend Jahren verehrten die Menschen die Sonne, so auch in Persien, im Iran und in Indien. Die Spuren dieser Verehrung sind älter als die ersten schriftlichen Zeugnisse darüber. Geblieben sind steinerne Zeugnisse. Doch vor über 2600 Jahren zeichneten die Priester des assyrischen Königs Assurbanipal auf Tontäfelchen ihren Lobgesang auf ihren "unbesiegbaren Sonnengott" auf. Er hatte in ihrer Sprache unzählige Namen, die seine Eigenschaften aufzählen: Shamash - der "Heiße" und viele andere. In ihrer Sprache hieß er auch Mithras. Diesen Namen sollte er auch später behalten, als seine Anhänger längst in anderen Sprachen kommunizierten. Auf dem monumentalen Denkmal des Königs Antiochus I. von Kommagene aus dem Jahr 62 vor Christus stehen die vielen Namen des einen Sonnengottes in einer Reihe: Apollo - Hermes - Helios - Mithras.
Für die Babylonier und Assyrer war dieser Sonnengott der Herrscher über das All und die anderen Götter, der Mittler zwischen Himmel und Erde. Der Sonnengott Mithras hatte unter den Göttern den Platz in deren Zentrum. Er verkörperte Weisheit und Ordnung. Ihre Tempel waren heilige Kultorte und Observatorien zugleich. Die Priester waren auch Astronomen, die den Himmelslauf ihres Gottes genau studierten und daraus ihre Schlüsse für die irdischen Geschicke der Menschen zogen. Der ganze Himmel war lebendig: Die Sterne waren die Seelen der Verstorbenen, die Wandelsterne Sonne, Mond und alle Planeten die Herrscher und Götter im Himmel. Die Geburt des Sonnengottes feierten sie alljährlich exakt am kürzesten Tag des Jahres, zur Wintersonnenwende. Denn ab da vertrieb die "unbesiegbare Sonne", der "Sol invictus" die Dunkelheit der langen Winternächte und die Tage wurden wieder länger.
Weit über tausend Jahre später breitete sich der Sonnenkult über Europa aus. Mithras wurde populär und zum Gott der einfachen Leute. Der Mithras-Kult fand sich im ganzen Römerreich, vom Rheinland bis nach Syrien. Der griechische Schriftsteller Plutarch machte in seinem "Leben des Pompeius" dazu die interessante Notiz, Seeräuber aus dem Süden von Kleinasien hätten diesen Kult nach Rom gebracht. In der Tat war der Mithras-Kult gerade unter den "einfachen" Menschen von damals sehr verbreitet, so auch unter Söldnern und Soldaten. Die Priester des Mithras-Kultes wurden Magier, "magoi", genannt, genauso wie im Evangelium der Christen später die Weisen aus dem Morgenland. Und aus dem Morgenland, dem Osten, kamen diese Träger des Kultes tatsächlich.
Mithras wurde – so der Glaube – in einer Erdhöhle von der "jungfräulichen" Mutter Erde geboren. Sein Geburtsfest, die Wintersonnenwende, fiel damals, in der Zeit der römischen Republik um 300 vor Christus, genau auf den 25. Dezember. Um seine Geburt ranken sich Erzählungen und Motive, die sehr an die christliche Geburtsgeschichte erinnern. Hirten waren bei der Geburt dabei – und beobachteten die Ankunft des Lichtträgers in der Welt. Sie kamen, um ihn anzubeten und opferten ihm die Erstlinge der Herden und der Früchte ihres Ackers.
Die Anhänger des Mithras feierten ihre Liturgie in sogenannten Mithräen, Kultstätten, in denen eigene Priester sieben Sakramente wie eine Taufe, Firmung und eine Kommunion spendeten, ein heiliges Mahl der Erinnerung mit Brot und Wein. Man zelebrierte täglich Gottesdienste. Der wichtigste Tag war aber der Sonntag, der Tag des Sonnengottes, der erste Tag der Woche. Im ganzen römischen Reich feierte man die Feste des Mithras. Als die ersten Christen nach Rom kamen, fanden sie einen funktionierenden Kult um eine Lichtgestalt vor, die sehr viele Züge ihres Heilands trug. Diese Ähnlichkeiten brachten es mit sich, dass die ersten Christen die Geburt ihres Stifters auch zum gleichen Zeitpunkt feierten - sie übernahmen einfach den Termin des 25. Dezember aus dem Mithras-Kult. Inzwischen war zwar der Zeitpunkt der Wintersonnenwende auf den 21. Dezember gewandert. Aber der Termin hatte sich im Kalender eingebürgert und war an seinem angestammten Platz geblieben. So verfügte schon der zweite Bischof von Rom, Telesphorus (129-138), man solle am 25. Dezember "in der heiligen Nacht der Geburt unseres Herrn und Erlösers öffentliche Gottesdienste feiern und darin feierlich den Preis der Engel singen, denn in dieser Nacht wurde seine Geburt den Hirten von Engeln verkündet." In der gesamten christlichen Kirche hat sich der 25. Dezember erst später durchgesetzt. Ähnlich später etablierte sich auch das Christentum erst im 4. Jahrhundert endgültig gegenüber dem Mithras-Kult: Der römische Kaiser Konstantin (280-337), ein Anhänger des Mithras, nahm zwar nach der entscheidenden Schlacht gegen seinen Widersacher Maxentius im Jahre 312 in einer Vision das Christentum zwar nicht an, aber er förderte es danach. Heute spricht keiner mehr vom Mithras-Kult – der 25. Dezember aber ist geblieben.