Eine gekürzte Fassung einer wahren Begebenheit von Frau Mildred Hondorf.
Frau Hondorf war über 30 Jahre Musiklehrerin an einer Grundschule in Iowa. In dieser Zeit gab sie sich redlich Mühe begabten wie unbegabten Schülern das Klavierspiel zu lehren. Einer ihrer größten Herausforderungen war der für sie total unbegabte elfjährige Robbie.
Er wurde eines Tages von seiner alleinziehenden Mutter zu ihr gebracht. Normalerweise sollten Jungens viel früher mit dem Klavierspiel anfangen, aber Robbie erwiderte, dass seiner Mutter größter Traum sei, ihn eines Tages am Klavier zu hören.
Also fing man mit den Klavierstunden an. Von Anfang an war es für Frau Hondorf ein hoffnungsloses Unterfangen. So sehr sich
Robbie auch bemühte, es fehlte ihm am notwendigen Gefühl für die Töne und Grundrhythmen. Aber eifrig und pflichtbewusst übte er
immer wieder die Tonleitern und Elementarstücke, die für einen Anfänger zu erlernen notwendig sind. Über die Monate hinweg
versuchte er es immer wieder und wieder, während Frau Hondorf zusammengezuckt zuhörte und versuchte ihn zu ermutigen. Am Ende
jeder Stunde sagte er: „Eines Tages wird meine Mutter mich spielen hören.“ Aber es erschien hoffnungslos. Er hatte keinerlei
angeborene Begabung. Seine Mutter kannte Frau Hondorf nur aus der Entfernung, wenn sie winkend ihren Sohn abholte. Eines Tages
erschien Robbie nicht mehr zur Klavierstunde. Zuerst wollte Frau Hondorf ihn anrufen, aber dann ließ sie es sein, weil sie glaubte, er
bliebe aufgrund seiner mangelnden Fähigkeiten fern. Außerdem war er auch keine gute Empfehlung für sie als Klavierlehrerin.
Einige Wochen später lud sie alle ihre Schüler schriftlich zu einem öffentlichen Vorspiel ein. Zu ihrer Überraschung rief unerwartet
auch Robbie an und bat darum, bei diesem Vorspiel dabei sein zu dürfen. Sie erklärte ihm, dass dieses Vorspiel nur für laufend
regelmäßig übende Schüler gedacht sei, und er jedoch aufgehört hätte. Er erwiderte jedoch, dass seine Mutter erkrankt sei und ihn
deshalb nicht zum Klavierunterricht hätte bringen können. Er habe jedoch regelmäßig weitergeübt und bestehe darauf, dass er
vorspielen müsste. Frau Hondorf konnte nicht sagen, was sie bewog ihn trotzdem zu diesem Vorspiel zu zulassen. War es seine
Beharrlichkeit oder ein Gefühl, es wird schon gut gehen.
Am Abend des Vorspiels war die Aula des Gymnasiums überfüllt mit Eltern, Freunden und Verwandten. Robbie wurde an die letzte
Stelle des Vorspiels gesetzt. Nachdem alle Schüler ihr Vorspiel abgeleistet hätten, würde Frau Hondorf zur Rettung zum Schluss noch
selbst etwas zum Besten geben und damit alles überspielen, was Robbie eventuell zuvor angerichtet haben würde.
Das Vorspiel lief wie am Schnürchen. Alle zeigten, was sie eingeübt hatten. Dann kam Robbie auf die Bühne. Seine Kleidung war
zerknittert, seine Haare ungekämmt und strähnig. Warum hatte seine Mutter ihn für diesen besonderen Abend nicht besser
hergerichtet, wie die anderen? Robbie setzte sich auf die Klavierbank und begann sein Vorspiel. Frau Hondorf war überrascht, als er
ankündigte, dass er Mozarts Klavierkonzert #21 in C-Dur gewählt hatte. Sie war darauf nicht vorbereitet gewesen, was sie nun zu
hören bekam. Seine Finger lagen federleicht auf den Tasten, sie tanzten auf dem Elfenbein. Er ging von Pianissimo zum Fortissimo,
vom Allegro zum Virtuoso. Seine hängenden Akkorde, wie Mozart sie verlangt, waren ausgezeichnet. Niemals hatte Frau Hondorf
Mozart von Leuten seines Alters so spielen hören. Nach ca. 6½ Minuten endete er in einem Crescendo, und jedermann war auf den
Beinen und zollte rauschenden Beifall. Überwältigt und in Tränen lief Frau Hondorf die Bühne hinauf und umarmte Robbie vor Freude.
Sie hatte ihn niemals so spielen hören.
Wie hatte er dies nur bewerkstelligt? Über das Mikrofon erklärte Robbie: „Frau Hondorf wie ich bereits schon zuvor sagte, war meine
Mutter krank. Nun ja sie hatte Krebs und verstarb heute Morgen. Außerdem war sie von Geburt an taub, deshalb war es heute Abend
das erste mal, dass sie mich jemals spielen hörte. Ich wollte es als etwas besonderes machen.“ Da gab es kein trockenes Auge an
diesem Abend in dem Saal. Als die Herrschaften vom Sozialdienst Robbie von der Bühne führten, um ihn ins Waisenhaus zu bringen,
bemerkte Frau Hondorf, dass auch deren Augen vor Rührung feucht waren. Frau Hondorf dachte für sich selbst, wie viel reicher ihr
Leben sei, einen Schüler wie Robbie zu haben. Sie hatte niemals ein Wunderkind als Schüler. Von heute an war er es. Er war der Lehrer,
sie die Schülerin. Dafür, dass er sie die Bedeutung von Ausdauer und Beharrlichkeit, Liebe und Glaube an sich selbst lehrte, und
jemanden eine Chance zu geben ohne zu wissen warum!
Robbie wurde in dem sinnlosen Bombenattentat im Alfred P. Murrah Gebäude von Oklahoma City im April 1995 getötet. Viele
scheinbare triviale Wechselwirkungen zwischen zwei Menschen konfrontieren uns mit der Wahl: Agieren wir mit Verständnis oder lassen
wir die Gelegenheit vorbei streichen und lassen die Welt etwas kälter in ihrem Fortschritt?
Auch über diese Geschichte kann man lange nachdenken.
Liebe Grüße
Manfred